Boehringer Ingelheim – Verschleißgrenzen präzise prognostizieren
Der Weg zur zustandsorientierten Instandhaltung in der pharmazeutischen Lüftungstechnik bei Boehringer Ingelheim
Reinräume sind für die sichere und den Qualitätsanforderungen entsprechende Herstellung sensibler Produkte, wie sie etwa in der Pharmaindustrie entstehen, unabdingbar. Entsprechend hoch ist die Bedeutung einer einwandfrei funktionierenden Versorgung der Labor- und Produktionsräume mit entsprechend partikelarmer Luft. Daher überwacht das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim seine Lüftungsanlagen rund um die Uhr, um einen störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Die zustandsorientierte Instandhaltung könnte diesen Prozess auf eine neue Ebene bringen. Boehringer Ingelheim befindet sich mit seinem Partner ifm auf dem Weg dorthin.
Seit 2008 arbeitet die Abteilung Engineering & Technology von Boehringer Ingelheim im Bereich der Schwingungs- und Wälzlageranalytik mit dem Automatisierungsspezialisten ifm zusammen. Dabei spielt das Schwingungsdiagnosesystem VSE100 in der Prozess- und in Lüftungstechnik eine zentrale Rolle, denn es sorgt für einen störungsfreien Betrieb der GMP-konformen Lüftungsanlagen. GMP steht für Good Manufacturing Practice. Dies sind international geltende Richtlinien zur Qualitätssicherung, die vor allem in der Herstellung pharmazeutischer Produkte zum Tragen kommen.
Herzstück des Systems ist die Auswerteeinheit VSE100. Sie bietet Eingänge für bis zu vier Schwingungssensoren. Das Schwingungsverhalten wird intern analysiert und bewertet. Abnormale Änderungen am Schwingungsverhalten werden erkannt und bei Grenzwertüberschreitung mehrstufig per Schaltausgänge signalisiert.
Das erlaubt die zuverlässige Überwachung von Maschinen und Anlagen. Verschleiß, zum Beispiel an den Wälzlagern von Antrieben, wird so frühzeitig erkannt, bevor es zu kritischen Zuständen oder gar Ausfällen kommt.
In der bisherigen Ausführung des Schwingungsdiagnosesystems von ifm wurde das Schwingungsverhalten und damit der Zustand der überwachten Lüfter in der Gebäudeleittechnik mit einer Ampel visualisiert. Wenn die Farbe von „grün“ auf „gelb“ wechselte, erhielten Servicetechniker Hinweise auf einen möglichen Schaden am Motor oder Lüfter. Dank des Systems liefen die Lüftungsanlagen seitdem durchgehend störungsfrei. Allerdings: Um eine Meldung weitergehend zu analysieren, mussten sich die Servicetechniker bislang mit einem Laptop an der Auswerteeinheit andocken, um diese auszulesen und so den Schaden im Detail zu bewerten.
Vor etwa drei Jahren entschloss sich die Abteilung Engineering & Technology, bei der Schwingungs- und Wälzlagerdiagnostik eine zukunftsweisende Investition zu tätigen. Damit verbunden ist eine Veränderung von der rein präventiven Instandhaltung zur zustandsorientierten Instandhaltung.
Verschiedene Systeme getestet
In den ersten Beratungen mit den Fachvertriebs-Spezialisten von ifm wurde das vorhandene VSE100-System an einer Musteranlage aus dem Jahr 2008 modernisiert und ausgetauscht. Parallel liefen weitere Versuche mit anderen Lieferanten in den unterschiedlichsten Anwendungsfällen. Dabei wurden verschiedene Remote-Systeme getestet: In einigen konnte man die Diagnose komplett fremdvergeben, während in anderen Schwingungs- und Wälzlagersystemen Techniker vor Ort Messungen vornehmen konnten.
Nach etwa einem Jahr wurde ein Resümee gezogen. Nach eingehender Begutachtung entschied sich Boehringer Ingelheim für einen Ausbau mit den Schwingungs- und Wälzlagerüberwachungssystemen von ifm. Ausschlaggebend war die zuverlässige und positive Erfahrung mit dem System seit 2008, aber auch die einfache Handhabung des Dashboards, welches zur Auswertung genutzt wird.
Außerdem war es Boehringer Ingelheim wichtig, mit ifm einen Partner zu haben, der bereits in anderen Industriebereichen mit derartigen Systemen Erfahrung gesammelt hat.
Präzise Prognose spart Millionen
So startete im Herbst 2019 das Projekt „Aufbau Condition Monitoring für Wälzlager-Schwingungsanalysen“. Das Ziel: Die für das Projekt ausgewählten Lüftungssysteme in einem pharmazeutischen Produktionsgebäude in Ingelheim auf das größte wirtschaftliche Risiko eines Ausfalles hin zu überwachen.
Diese Lüftungsanlagen versorgen ausnahmslos Räume der „Reinraumklasse D“. Ziel war es, die Anlage bereits ab Sommer 2020 nur noch automatisiert per Analyse Tool zu überwachen. Gemeinsam mit ifm wurde dieses Ziel erreicht: Die Lüftungsanlagen wurden im Sommer umgerüstet und in Betrieb genommen.
Kurzfristige Einsparungen im sechsstelligen Bereich
Das Dashboard VES004 wurde ab diesem Zeitpunkt zur vorbeugenden Instandhaltung eingesetzt. Expertinnen und Experten aus der Engineering Einheit von Boehringer Ingelheim sowie dem eigenen Service Center ermittelten gemeinsam in einem halbjährlichen Intervall den Zustand des Bauteils und ermitteln eine Handlungsempfehlung.
Der Erfolg war beachtlich: Die Umstellung brachte in kurzer Zeit Einsparungen im hohen sechsstelligen Bereich ein, da man Produktionsausfälle durch abgestimmte oder geplante Reparaturen an Lüftungsanlagen vermeiden konnte.
Mittlerweile werden dank der zuverlässigen Prognose die Wälzlager der Anlagen nicht mehr zeitbasiert ausgetauscht, sondern erst dann, wenn deren Abnutzungsvorrat tatsächlich aufgebraucht ist. Durch diese bedarfsgerechte Instandsetzung werden Material- und Wartungskosten reduziert, gleichzeitig wird die Umwelt entlastet – und auch das Personal kann effizienter eingesetzt werden.
Schulungen in Zeiten der COVID-19-Pandemie neu gedacht
Während der COVID-19-Pandemie wurden die Mitarbeitenden von Boehringer Ingelheim per Remote-Schulung durch ifm im Umgang mit der Analysesoftware geschult. Dies war für beide Seiten eine spannende Erfahrung, da das praktische Arbeiten an Testobjekten zum Schulungsinhalt gehört.
Aktuell ist das Projektteam auf dem Weg, eine zustandsorientierte Instandhaltung abzubilden. Ziel ist es, dies in einer SAP-Cloud/PAI zu machen. Dort könnte man dann die Ausfallwahrscheinlichkeit von Lüftungsanlagen durch einen Wälzlagerschaden oder eine Unwucht prognostizieren.
Hierzu wurden die Daten der VSE100 in einer neuen IT-Architektur eingebettet, und Boehringer Ingelheim arbeitet partnerschaftlich mit den Datenspezialisten des ifm-Tochterunternehmens statmath daran, diese Daten für die weitere Nutzung in eine verwertbare Qualität zu bringen. „Dabei kommt es uns entgegen, dass statmath genau diese Punkte in der Automobilindustrie bereits erfolgreich umgesetzt haben und so über weitreichende Erfahrungen verfügt“, so Julia Kaufmann, Maintenance Manager bei Boehringer Ingelheim.
Für das Pharmaunternehmen ist es elementar, die gute Herstellpraxis als Grundlage in seine Instandhaltung mit einzubeziehen. Dies erfordert zum Beispiel eine Risikobetrachtung, wenn man die Instandhaltungsart anpasst. Auch dies wird im Rahmen des Pilotprojektes berücksichtigt.
Rafael Cannas: „Im Rahmen der Digitalisierung wird uns das Thema, den validierten Zustand der Systeme erhalten, weiter beschäftigen, ebenso die Qualifizierung von eigenen Technikern, um sie für die Zukunft fit zu machen.
In unserem Pilotprojekt haben wir die Vorteile von Condition Monitoring bereits nachgewiesen. In Zukunft stellen wir uns vor, die Ausfallwahrscheinlichkeit des Equipments vorherzusagen, um mit diesem Wissen die Instandsetzung so zu planen, dass der Herstellbetrieb in seiner Produktionszeit nicht mehr gestört oder unterbrochen werden muss.“
Fazit
Das Pilotprojekt bei Boehringer Ingelheim zeigt: Unternehmen können erheblich von modernem Condition Monitoring profitieren. Insbesondere dann, wenn die Instandhaltung hochrelevanter Produktionsanlagen bedarfsgerecht und nicht mehr zeitbasiert vorgenommen werden kann, lassen sich Einsparungen in hohem Maße erzielen: Gezielte Wartungsplanungen reduzieren Stillstandzeiten, minimieren Materialkosten und entlasten Fachpersonal und schonen nicht zuletzt die Umwelt.